Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes

Die Histoire philosophique ist eines der gesamteuropäisch einflussreichsten Erfolgs- und Skandalbücher des europäischen 18. Jahrhunderts, überall verboten, klandestin gedruckt und nachgedruckt, illegal übersetzt und in ganz Europa leidenschaftlich diskutiert. Ihr Inhalt ist die kritische Geschichte der europäischen Kolonialexpansion in ‚beiden’ Indien, d.h. sowohl im ‚östlichen’ Indien (Asien), als vor allem auch im ‚westlichen’ Indien (Karibik und Lateinamerika). Innerhalb eines Makrokontextes, der auch die Konkurrenz von Frankreich und Spanien um koloniale Besitztümer einschließt, ist Raynals umfangreiches Werk die früheste, auf der Verarbeitung einer Fülle von einerseits zeitgenössischen (Reise-)Berichten, andererseits historischen Quellen beruhende Grundsatzkritik der europäischen (speziell spanischen) Kolonialpolitik mit scharfen Attacken an die Adresse Spaniens und der Kolonialmächte als auch des Katholizismus insgesamt.
Die Rezeptionsgeschichte bedingt dabei auch die Geschichte der Textproduktion. Nach einer ersten Fassung von 1770, die in Frankreich sofort verboten wurde und nur außerhalb der Landesgrenzen (nach)gedruckt werden konnte, erweiterte der Autor – gerade unter dem Eindruck des Verbots – den Text in der Fassung von 1774 erheblich und radikalisiert ihn. Diese deutlich militantere Fassung wurde sofort auf den Index gesetzt und fast überall in Europa, zumindest in allen katholischen Ländern, scharf verboten; die (im Allgemeinen als ‚definitiv’ betrachtete) Fassung von 1780 (in Paris auf dem Scheiterhaufen verbrannt) verschärft nochmals viele Formulierungen und ergänzt den Text an zahlreichen Stellen erneut. Raynal selbst war inzwischen ins Exil gegangen, kehrte aber kurz vor der Französischen Revolution wieder zurück, in der er wegen des Textes hohe Ehren empfing. 1820, 24 Jahre nach seinem Tod, erschien in Paris postum die vierte und letzte Edition der Histoire mit Korrekturen und Ergänzungen, die der Autor bis zu seinem Tode vorgenommen hatte.
Zu den umstrittensten Kapiteln des Gesamttextes gehören die Kapitel zur Eroberungsgeschichte Lateinamerikas, die im Lauf der vier gedruckten Fassungen eine besonders hohe Anzahl von Textänderungen erfuhren.

Textfassungen

1770
Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes
Amsterdam
1774
Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes
Den Haag
1780
Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes
Genf: Pellet
1820
Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes
Paris : Costes
Eine detailliertere Darstellung der Druckgeschichte von Gilles Bancarel ist in dessen Dissertation von 2002 enthalten; eine Kurzfassung ist hier abrufbar.